Zum Seiteninhalt springen
Deutschland

Was genau sind seltene Krankheiten? 

oder auch „Orphan Diseases“ genannt - English: orphan = Weise; rare = selten) 

Ob Krankheiten als seltene Erkrankungen definiert werden, hängt von der Häufigkeit ihres Auftretens in der Bevölkerung ab. Die Definition ist global betrachtet allerdings nicht einheitlich. Siehe dazu: Zahlen weltweit

Demnach werden in Europa jene als seltene Erkrankung bezeichnet, deren Vorkommen bei weniger als 5 Personen pro 10.000 Einwohnern liegt.

Univ. Prof. Irene Lang, MD

Zahlen weltweit

EU
eu
Weniger als 230.000 Patienten pro Jahr oder 5 pro 10.000 Einwohner
USA
Weniger als 200.000 Patienten pro Jahr oder 7,5 pro 10.000 Einwohner
USA
Japan
japan
Weniger als 50.000 Patienten pro Jahr oder 4 pro 10.000 Einwohner
australien
Weniger als 2.000 Patienten pro Jahr oder rund 1 pro 10.000 Einwohner in Australien
AUA

Dr. Rainer Riedl | Obmann Debra Österreich

Wodurch zeichnen sich seltene Krankheiten aus?

Fast alle genetische Störungen sind seltene Erkrankungen, aber nicht alle seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingte Krankheiten. So gibt es z.B. sehr seltene Infektionskrankheiten, seltene Formen von Autoimmun-Störungen oder auch seltene Krebserkrankungen.

Die meisten Ursachen für seltene Erkrankungen sind bis dato ungeklärt.

Bei vielen können die ersten Symptome schon kurz nach der Geburt oder in früher Kindheit auftreten. Bei über 50 % treten die ersten Symptome erst im Erwachsenenalter auf. 

Merkmale seltener Erkrankungen:

  • Über die Hälfte der Erkrankungen betreffen Kinder, fast alle sind genetisch bedingt
  • Viele seltene Erkrankungen sind nahezu unbekannt, es gibt wenige Spezialisten
  • Der Weg zur korrekten Diagnose ist langwierig und beträgt oft viele Jahre
  • Für die meisten Erkrankungen (über 95%) gibt es bisher keine spezifische Therapieoptionen

Viele seltene Erkrankungen sind lebensbedrohlich oder stark belastend 

26
prozent
26%
Ca. 26% dieser Patienten sterben, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben 
37%
Ca. 37% haben, abhängig von der Schwere der Erkrankung, eine reduzierte Lebenserwartung 
37
prozent
37
Prozent
37%
Nur ca. 37% haben eine normale Lebenserwartung 

Besondere Leiden & Probleme

Generell kämpfen Patienten um die Akzeptanz ihres Leidens, eine kompetente medizinische Versorgung und oft auch um soziale Absicherung Die Schwierigkeiten bestehen vor allem hinsichtlich der Diagnostik, der Verfügbarkeit relevanter Informationen und der Vermittlung von geeigneten Experten.

Langwierige Diagnose

> 6.000
bekannte seltenen Erkrankungen
> 6.000
Zwar ist die Häufigkeit des Aufkommens der einzelnen seltenen Erkrankungen vergleichsweise sehr gering, dem steht allerdings ein breites Spektrum an unterschiedlichen Krankheitsbildern gegenüber. Seltene Erkrankungen haben viele verschiedene Ausprägungen in Symptomen und Krankheitsverläufen. Im Besonderen sind zugleich mehrere Organe und Systeme betroffen, wodurch sich die meisten seltenen Erkrankungen als Multisystemerkrankungen herausstellen.

Viele der seltenen Erkrankungen sind bis dato noch nicht ausreichend erforscht, um diese frühzeitig und eindeutig zu diagnostizieren. Die Zeit bis zum Vorliegen einer gesicherten Diagnose misst man hier nicht in Wochen oder Monaten, manche Patienten warten viele Jahre. Häufig werden die Patienten mit einer Reihe von Fehldiagnosen aufgrund falsch zugeordneter Symptome konfrontiert.

1
Priv.Doz. Dr. Stefan Seidel

"Der Zeitraum zwischen erstem Auftreten der Symptome bis zur Diagnose kann bei Narkolepsie 5 Jahre, aber auch 10 Jahre dauern. Die längste mir bekannte Diagnose dauerte in diesem Bereich sogar 40 Jahre."

1
Dr. Rainer Riedl Chairman of DEBRA Austria

"Bei meiner Tochter mit Epidermolysis bullosa hat es viele Monate bis zu einer klinischen Diagnose gedauert - und ganze 14 Jahre bis zu einer exakten Diagnose."

Leben & Alltag mit Rare Diseases

Für viele Angehörige und vor allem für das soziale Umfeld ist es unvorstellbar, was eine seltene Erkrankung ist und wie sie ablaufen wird. Wie sie mit der erkrankten Person umgehen und ihre Hilfe im Alltag anbieten können, ist eine besondere Herausforderung. Eine große Stütze sind daher Spezialisten, die den Patienten Informationen zum Krankheitsverlauf und zu Therapieoptionen geben können.

Schwieriger Zugang zu Spezialisten

Die Patienten sind oft von ganz wenigen Spezialisten abhängig. In vielen Fällen ist der Zugang zu diesen aufgrund räumlicher Distanzen erschwert oder die gesuchte Expertise und die notwendigen, spezialisierten Einrichtungen sind den Patienten nicht bekannt oder nicht leicht genug zu finden. 

The patients are frequently dependent on a very small number of specialists. In many cases the access to the specialists is rendered difficult by spatial distance; the patient may not be aware of the required expertise and the necessary specialised facilities or these may not be easy to find.

Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen stellen einen wertvollen Erfahrungsaustausch unter Patienten her, wobei einige Patienten einen stärkeren Austausch untereinander wünschen und andere wiederum eine stärkere Patienten-Arzt-Beziehung suchen. Die Organisationen pflegen die Rare-Disease-Community unter der Berücksichtigung der Privatsphäre der Patienten. 

Therapeutische Aspekte

Den Betroffenen von seltenen Erkrankungen stehen oft nicht zufriedenstellende Therapieoptionen oder noch nicht zugelassene Therapien gegenüber. In manchen Fällen können angemessene Pflegemaßnahmen die Lebensqualität verbessern und auch die Lebenserwartung steigern. Für die Behandlung einiger Krankheiten konnten zum Teil schon beeindruckende Fortschritte erzielt werden, die zeigen, dass die Forschungsmühen nicht umsonst sind und Energie und Ressourcen in die zielgerichtete Erforschung von seltenen Erkrankungen gesteckt werden sollten.

95%
 keine Therapien
Für 95% der seltenen Erkrankungen gibt es keine Therapien
Wesentlich ist, dass Patienten mit seltenen Krankheiten auch Zugang zu den Therapien haben. Oft haben sie mit außerordentlichen bürokratischen Hürden wie beispielsweise der Übernahme von Therapiekosten zu kämpfen, die aus unklaren Zuständigkeiten resultieren. 

Entwicklung unter Hürden

Die Entwicklung von Ideen und Lösungswege im Bereich der Seltenen Erkrankungen erfordert ein internationales Netzwerk. Nur durch das Zusammentragen von Know-how können Handlungsfelder definiert und nachhaltige Maßnahmen gesetzt werden.

The development of ideas and solutions in the field of rare diseases requires an international network. Only by combining know-how is it possible to define fields of action and introduce lasting measures.

Wie geht die Europäische Union mit seltenen Krankheiten um? 

Die EU-Verordnung über Arzneimittel zur Behandlung seltener Leiden trat am 22. Januar 2000 in Kraft. Sie soll die Forschung, Entwicklung und Verbreitung von medizinischen Produkten im Bereich der seltenen Krankheiten fördern. 

The EU regulation on drugs for the treatment of rare diseases came into force on 22 January 2000. Its purpose was to promote the research, development, and dissemination of medical products for rare diseases.

Die steigenden Zahlen der Orphan Drugs (Medikamente, die speziell zur Behandlung von deltenen Krankheiten entwickelt wurden) zeigen, dass sich Unternehmen wie AOP Health immer stärker für das Gebiet der seltenen Krankheiten engagieren. Zirka 20% der Arzneimittel, die jährlich in der EU zur Zulassung gebracht werden, sind Orphan Drugs.

Die Vernetzung der bestehenden Expertise zu den spezifischen Krankheitsbildern seltener Erkrankungen anhand von spezialisierten Zentren spielt eine große Rolle. Auch die Forschung und Entwicklung von Therapiemöglichkeiten können so besser und schneller forciert werden.

Quellen:

European Medicines Agency (EMA) unter: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/overview/orphan-designation-overview, abgerufen am 09.01.2019

Pharmig | Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs unter http://www.pharmig.at/DE/Der%20Verband/Fachbereiche/Seltene%20Erkrankungen/Seltene+Erkrankungen.aspx, abgerufen am 09.01.2019

Interview mit Dr. Rainer Riedl vom 29.11.2018

Interview mit Univ. Prof. Irene Lang, MD vom 15.11.2018

Interview mit Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Stefan Seidel vom 30.10.2018