Narkolepsie mit und ohne Kataplexie
Bei der Narkolepsie handelt es sich um eine neurologische Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus, die durch eine übermäßige Tagesschläfrigkeit gekennzeichnet ist. Von dieser seltenen Erkrankung sind ca. 2-5 von 10.000 Menschen betroffen (1). Da eine Heilung nach derzeitigem Wissensstand nicht möglich ist, zielt eine Behandlung auf die Linderung der Symptome ab.
Ursachen
Bei Menschen, die unter Narkolepsie leiden, funktioniert ein kleiner Bereich des Gehirns nicht normal. Durch die unumkehrbare Zerstörung bestimmter Zellen entsteht ein Mangel an einem bestimmten Hormon, dem Orexin, das den Wachzustand stabilisiert (2-4). Als Ursache gelten erblich bedingte Autoimmunprozesse, in denen sich die eigene Immunabwehr gegen die entsprechenden Hirnregionen richtet. Das Erkrankungsrisiko bei genetisch anfälligen Menschen kann durch Infektionen oder die Schweinegrippe-Impfung erhöht werden. (5)
Veränderte Schlafphasen
Der Schlaf bei Gesunden wird in ca. 90-minütige Schlafzyklen unterteilt, wobei jeder Zyklus eine sogenannte Rapid-Eye-Movement- (REM-) Phase und Non-REM-Phasen beinhaltet. Die REM-Phase ist durch eine schnelle Augenbewegung bei geschlossenen Lidern gekennzeichnet. In dieser Phase finden die meisten Träume statt. Die Non-REM-Phase geht der REM-Phase voraus und ist in leichten und tiefen Schlaf unterteilt (6).
Im Unterschied zu Gesunden beginnt bei Narkoleptikern direkt nach dem Einschlafen die REM-Phase, alle Non-REM-Phasen werden nicht durchlaufen (7).
Symptome
Die klassischen Symptome einer Narkolepsie sind exzessive Tagesschläfrigkeit, Nachtschlafstörung, Halluzinationen, Schlaflähmung und Kataplexie. Sie können von Patient zu Patient sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, einzelne Symptome (z.B. Kataplexie) können auch gänzlich fehlen (8).
Exzessive Tagesschläfrigkeit
Die Tagesschläfrigkeit ist das herausragende Symptom der Narkolepsie und wird von Patienten oft als unüberwindlich geschildert. Narkoleptiker fühlen sich untertags müde und energielos und können plötzlich ungewollt einschlafen. Diese Nickerchen sind häufig sehr kurz, die Patienten fühlen sich danach erholt und wacher als zuvor.(7,9)
Als eine Folge der vermehrten Tagesschläfrigkeit kann es zu sogenanntem „automatischem Handeln“ kommen, bei welchem Handlungen sozusagen im „Halbschlaf“ weiter ausgeführt werden und fehlerhaft oder sinnlos sein können (7).
Gestörter Nachtschlaf
Ein wenig bekanntes aber dennoch häufiges Symptom der Narkolepsie ist ein gestörter Nachtschlaf, charakterisiert durch oftmaliges Aufwachen (9).
Schlafbezogene Halluzinationen
Narkolepsie-Patienten leiden häufig unter intensiven Halluzinationen beim Einschlafen oder Aufwachen. Diese können visuell, akustisch oder taktil sein und werden oft als sehr realistisch erlebt. Vielfach werden die Halluzinationen als bedrohlich oder unangenehm empfunden. (7)
Schlaflähmung
Die nur Sekunden bis wenige Minuten dauernde Schlaflähmung ist durch eine vollständige Bewegungsunfähigkeit charakterisiert. Während sie beim gesunden Menschen während des Schlafs vorkommt, um die Bewegung während des Träumens zu verhindern, tritt sie bei Menschen mit Narkolepsie gehäuft beim Einschlafen oder Aufwachen auf und wird daher bewusst erlebt und als beängstigend empfunden. (7)
Kataplexie
Als Kataplexie wird ein kurz andauerndes Muskelversagen unterschiedlicher Ausprägung bezeichnet. In leichten Fällen erschlaffen beispielsweise nur die Gesichtsmuskeln, in schweren Fällen kann ein Patient in sich zusammensacken und zu Boden fallen. Kataplexien können durch Emotionen wie Lachen, Ärger oder Überraschung ausgelöst werden und dauern meist nur wenige Sekunden. (10)
1. Longstreth WT, Koepsell TD, Ton TG, Hendrickson AF, van Belle G. The epidemiology of narcolepsy. Sleep. 2007; 30 (1): 13-2
2. Nishino S, Ripley B, Overeem S, Lammers GJ, Mignot E. Hypocretin (orexin) deficiency in human narcolepsy. Lancet. 2000; 355 (9197): 39-40
3. Thannickal TC, Nienhuis R, Siegel JM. Localized loss of hypocretin (orexin) cells in narcolepsy without cataplexy. Sleep. 2009; 32 (8): 993-8
4. Thannickal TC, Moore RY, Nienhuis R, Ramanathan L, Gulyani S, Aldrich M, et al. Reduced number of hypocretin neurons in human narcolepsy. Neuron. 2000; 27 (3): 469-74
5. Bonvalet M, Ollila HM, Ambati A, Mignot E. Autoimmunity in narcolepsy. Curr Opin Pulm Med. 2017; 23 (6): 522-9
6. Rechtschaffen A, Kales A. Los Angeles: University of California, Brain Information Service/Brain Research Institute. 1968
7. Dauvilliers Y, Billiard M, Montplaisir J. Clinical aspects and pathophysiology of narcolepsy. Clin Neurophysiol. 2003; 114 (11): 2000-17
8. Deutsche Gesellschaft für Neurologie - Leitlinien Narkolepsie. 2012:https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/030-056l_S1_Narkolepsie__verlaengert.pdf
9. Roth T, Dauvilliers Y, Mignot E, Montplaisir J, Paul J, Swick T, et al. Disrupted nighttime sleep in narcolepsy. J Clin Sleep Med. 2013;9 (9): 955-65.
10. Dauvilliers Y, Arnulf I, Mignot E. Narcolepsy with cataplexy. Lancet. 2007; 369 (9560): 499-511.
Narkolepsie in Schwangerschaft und Stillperiode
Da die Symptome einer Narkolepsie oft im jungen Erwachsenenalter erstmals auftreten, sind Informationen zum Umgang mit Narkolepsie während einer Schwangerschaft relevant. Nur wenige Studien haben bisher den Einfluss einer Narkolepsie auf eine Schwangerschaft untersucht.
Medikation während der Schwangerschaft und Stillperiode
Narkolepsie-Patientinnen mit Kinderwunsch oder jene, die bereits erfahren haben, dass sie schwanger sind, sollten unbedingt ihren Arzt kontaktieren. Bezüglich der Medikation ist es wichtig, dass der Arzt gemeinsam mit der Patientin eine genaue Nutzen-Risiko-Abwägung durchführt um zu entscheiden, welche Medikamente wie gewohnt eingenommen, in der Dosis reduziert oder ganz abgesetzt werden sollten.
Der Großteil der Ärzte empfiehlt Frauen mit Kinderwunsch, schwangeren und stillenden Frauen das Absetzen der Medikamente zur Behandlung der Narkolepsie-Symptome (1).
Die Medikamente zur Behandlung der Narkolepsie sind plazentagängig – das bedeutet, dass auch das Ungeborene sozusagen „mitbehandelt“ wird. Ebenso wird der Wirkstoff der gängigen Narkolepsie-Medikamente mit der Muttermilch an das Neugeborene weitergegeben. (1)
Mögliche Komplikationen während der Schwangerschaft
In seltenen Fällen kann es während der Geburt zu Kataplexien kommen (2), die die Entbindung beeinflussen. Die Daten einer erst kürzlich veröffentlichten Studie zeigen, dass Schwangerschaftsdiabetes bei Patientinnen mit Narkolepsie mit Kataplexien häufiger aufzutreten scheint als bei gesunden Frauen und auch das Geburtsgewicht der Neugeborenen höher zu sein scheint. Außerdem musste bei Narkolepsie-Patientinnen eine Geburt öfter eingeleitet werden (4).
Pflege des Neugeborenen
Viele Narkolepsie-Patientinnen berichten über Auswirkungen der Krankheit auf die Pflege des Neugeborenen. Bei den meisten Patientinnen wird die Pflege durch Tagesschläfrigkeit oder dem unwillkürlichen Einschlafen während des Stillens oder Fütterns erschwert (2).
1. Thorpy M, Zhao CG, Dauvilliers Y. Management of narcolepsy during pregnancy. Sleep Med. 2013;14(4):367-76.
2. Maurovich-Horvat E, Kemlink D, Högl B, Frauscher B, Ehrmann L, Geisler P, et al. Narcolepsy and pregnancy: a retrospective European evaluation of 249 pregnancies. J Sleep Res. 2013;22(5):496-512.
3. Maurovich-Horvat E, Tormášiová M, Slonková J, Kemlink D, Maurovich-Horvat L, Nevšímalová S, et al. Assessment of pregnancy outcomes in Czech and Slovak women with narcolepsy. Med Sci Monit. 2010;16(12):SR35-40.
4. Calvo-Ferrandiz E, Peraita-Adrados R. Narcolepsy with cataplexy and pregnancy: a case-control study. J Sleep Res. 2018;27(2):268-72.
Narkolepsie bei Kindern
Narkolepsie kann in fast jedem Alter erstmals auftreten.
Bei circa 20 % aller Narkolepsiepatienten tritt sie vor dem 10. Lebensjahr auf (1).
Besonders im Kindesalter können die Symptome der Narkolepsie falsch interpretiert werden, was zu einem erhöhten Leidensdruck führen kann.
Die exzessive Tagesschläfrigkeit als Hauptsymptom kann eine schnelle Diagnose oftmals erschweren, da sie oft mit dem normalen Schlafbedürfnis von Kindern verwechselt werden kann (2). Da Kinder dazu neigen, ihre Schläfrigkeit durch Hyperaktivität zu kompensieren, wird häufig ein hyperkinetisches Syndrom diagnostiziert. (1, 3)
Narkolepsie im Kindesalter kann auch mit Faulheit, Trotzverhalten, Epilepsie, anderen neurologischen oder medizinischen Krankheiten oder Intelligenzminderung verwechselt werden (2, 3). Stürze infolge von Kataplexien, können als Ungeschicklichkeit fehlinterpretiert werden (2).
Die Symptome der Narkolepsie können bei Kindern Angst, Schamgefühl, das Gefühl von Hilflosigkeit und Depressionen hervorrufen. Das Unverständnis und die Vorverurteilung durch das soziale Umfeld können zu einem sozialen Rückzug führen (2).
Die exzessive Tagesmüdigkeit kann sich auf die Konzentrationsfähigkeit, das Gedächtnis und andere kognitive Leistungen auswirken und schlechte schulische Leistungen als Folge haben (2).
Verhaltensauffälligkeiten und Depressionen können ebenso folgen, was zu einer eingeschränkten Lebensqualität beitragen kann (3).
Um langfristige Folgen der Narkolepsie auf die Psyche der Kinder zu verhindern, ist eine rasche Diagnose unumgänglich.
1. Mayer G, Kotterba S. 2001. p. 249-54.
2. Stores G. The protean manifestations of childhood narcolepsy and their misinterpretation. Dev Med Child Neurol. 2006;48(4):307-10.
3. Stores G, Montgomery P, Wiggs L. The psychosocial problems of children with narcolepsy and those with excessive daytime sleepiness of uncertain origin. Pediatrics. 2006;118(4):e1116-23.
Diagnose und neurologische Schlaflabore in Österreich
Die Österreichische, Deutsche und Schweizerische Gesellschaft für Neurologie setzt in ihren Leitlinien Standards zur Diagnostik der Narkolepsie (1).
Empfohlen wird eingangs eine gezielte Anamnese der Kernsymptome exzessive Tagesschläfrigkeit und Kataplexie. Da Narkolepsie familiär gehäuft auftreten kann, sollte ebenso eine Familienanamnese durchgeführt werden. (1)
Mittels verschiedener Schlaffragebögen und Schlaftagebüchern sollte der Patient sein Schlafverhalten dokumentieren (1). Der Epworth Sleepiness Score (ESS) zum Beispiel erfasst die Tagesschläfigkeit und soll die Wahrscheinlichkeit wiedergeben, unter bestimmten Alltagsbedingungen (z.B. während des Fernsehens) einzuschlafen (2).
Außerdem sollte eine Polysomnografie – also die Überwachung unterschiedlicher Körperfunktionen während des Schlafes – und ein sogenannter Multiple Sleep Latency Test (MSLT) durchgeführt werden. Dabei ist besonders auf Phasen mit verkürzter Einschlafzeit und vorzeitigem REM-Schlaf geachtet werden. Ein typischer Befund bei Narkolepsie-Patienten ist außerdem ein unterbrochener Schlaf und eine verkürzte Zeit bis zum Einschlafen untertags. (1)
Im Einzelfall können weitere Untersuchungen wie die Bestimmung des Orexin-Levels im Liquor oder bildgebende Verfahren erforderlich sein. (1)
Da es sich bei der Narkolepsie um eine neurologische Schlafstörung handelt, sollte eine Diagnose in einem neurologischen Schlaflabor gestellt werden.
Die vollständige, aktualisierte Liste der neurologischen Schlaflabore in Österreich finden Sie hier:
https://schlafmedizin.at/de/akkreditierte-schlaflabore/
Alltag
Die Lebensqualität von Menschen mit Narkolepsie kann sehr unter der Erkrankung leiden. Die Symptome können dazu führen, dass Patienten sich nicht ernst genommen oder ausgeschlossen fühlen.
Narcolepsy can have very negative effects on quality of life. Patients regularly experience social exclusion – due to the symptoms and their own efforts to manage them, and also to a lack of understanding of their condition by the people around them.
Narkolepsie in der Gesellschaft
Für das Umfeld sind die Symptome – allen voran die Tagesschläfrigkeit und die Kataplexien – schwer einzuordnen und werden fälschlicherweise als Faulheit, Desinteresse, Alkoholismus oder gar Drogenabhängigkeit interpretiert. Unter dieser Stigmatisierung leiden die Narkolepsie-Betroffenen sehr, was zu einer Vermeidung emotionaler Situationen (um Kataplexien zu vermeiden) und dem Rückzug aus dem sozialen Leben führen kann. Das plötzliche Einschlafen sowie Kataplexien in der Öffentlichkeit werden vom Patienten als „peinlich“ empfunden und werden so gut es geht – unter anderem durch Verzicht der Teilnahme am Gesellschaftsleben – verhindert.
Narkolepsie und Partnerschaft/Familie
Doch auch in der Partnerschaft und der Familie können Probleme entstehen. Durch den Versuch der Vermeidung von Emotionen wirken Narkolepsie-Patienten oft distanziert und unnahbar. Durch einen offenen Umgang mit der Erkrankung kann bei Mitmenschen Verständnis für diese Situationen geweckt werden und das eigene Selbstvertrauen gestärkt werden. Dadurch kann es Betroffenen gelingen, wieder aktiv am Leben teilzunehmen.
Sowohl Symptome als auch die medikamentöse Behandlung einer Narkolepsie können sich negativ auf die Sexualität auswirken und eine Partnerschaft dadurch beeinträchtigen. Derlei Probleme sollten daher unbedingt mit dem Partner und auch dem behandelnden Arzt besprochen werden.
Narkolepsie in Schule und Berufsleben
Narkolepsie kann bereits im Schulalter auftreten. Das Einschlafen während des Unterrichts wird oft fehlinterpretiert, und somit leidet der Schüler unter dem Unverständnis. Eine unerkannte Narkolepsie kann sich auch negativ auf die schulische Leistung auswirken und zu schlechten Beurteilungen führen, die der Begabung nicht angemessen sind.
Da die Tagesschläfrigkeit zu einem erhöhten Unfallrisiko führt, spielt die Narkolepsie auch bei der Berufswahl eine wichtige Rolle. Manche Berufe können nach Auftreten der Narkolepsie nicht mehr ausgeführt werden. Als besonders ungeeignet gelten Berufe mit Kraftfahrzeugen oder das Bedienen gefährlicher Maschinen. Ebenso wenig geeignet sind Berufe, die in der Höhe ausgeführt werden müssen, wie z.B. Dachdecker. Monotone Arbeiten führen eher zu spontanem Einnicken und unregelmäßige Arbeitszeiten können das Krankheitsbild verschlimmern.
Narkolepsie und Reisen
Menschen mit Narkolepsie sollten für eine gelungene Reise einige Punkte beachten. Mit einer vertrauten Person zu reisen erleichtert einiges. Falls dies nicht möglich ist, gibt es auf vielen Bahnhöfen und Flughäfen Unterstützung, etwa in Form von Begleitpersonen oder Rollstühlen. So können Aufregung und Anstrengung – also Auslöser von Kataplexien – vermieden werden. Um im Notfall eine schnelle und richtige Behandlung zu ermöglichen, empfiehlt es sich, einen Patientenpass bei sich zu tragen. Da viele Arzneimittel zur Behandlung der Symptome einer Narkolepsie unter das Suchtmittelgesetz fallen, dürfen diese nicht ohne weiteres transportiert werden. Bei Reisen innerhalb des Schengen-Raums und mit einer Dauer von unter 30 Tagen reicht eine vom behandelnden Arzt ausgestellte Bescheinigung aus, die von einem Amtsarzt beglaubigt werden muss (1). Bei einer Reise in andere Länder muss der Patient die Rechtslage im Zielland vor Reiseantritt klären und dementsprechende Vorbereitungen treffen.
BMGF Reiseinformationen: Mitnahme von Medikamenten ins Ausland
Epworth Sleepiness Scale (ESS)
Information über ESS finden Sie auf Englisch unter https://epworthsleepinessscale.com/
Untenstehend finden Sie bitte ein PDF Download "Fragebogen zur Tageschläfrgikeit"